Die Anthropolgin Sarah Blaffer Hrdy (56) ist bekannt für ihren weiblichen Blick auf die menschliche Evolution. Sie ist der Meinung, dass sich in vielen Theorien der Biologie eine allzu männliche Sichtweise eingeschlichen hat und versucht dies mit ihren Kolleginnen wie Kristin Hawkes von der Universität von Utah ins rechte Lot zu rücken. Ihre neueste These ist, dass nicht Mann und Frau in einer Kernfamilie den Nachwuchs aufzogen, sondern dass unsere Vorfahren in ihren Gruppen gemeinsam Kinder aufzogen. Und das hatte Folgen, die wir heute noch spüren. Sarah B. Hrdy ist emeritierte Professorin an der Universität von Californien, verheiratet und Mutter von drei Kindern. Bekannt wurde sie in Deutschland durch ihr preisgekröntes Buch “Mutter Natur - Die weibliche Seite der Evolution.“
Mutterinstinkte
Sarah Hrdy, sie widersprechen einer alten Lehrmeinung, dass Frauen von Natur aus eine Art Mutterinstinkt haben, der sie zu guten Müttern macht. Was haben Sie gegen den Mutterinstinkt?
Nach der alten Sichtweise haben Frauen etwas, das sie dazu bringt, Mutter werden zu wollen. Dieser Instinkt mache sie selbstlos und hingebungsvoll ihren Kindern gegenüber. Tatsächlich ist das aber bei vielen Frauen gar nicht so eindeutig. Viele Frauen empfinden sehr gemischte Gefühle, wenn sie Kinder haben. Auf der einen Seite sind sie sehr hingebungsvoll, sie lieben ihre Kinder – andererseits sind sie eher zwiespältig, weil ihnen bewusst wird, wieviel Kinder sie kosten. Ich meine das nicht nur im finanziellen Sinn. Es ist die Zeit und Energie, die Mütter aufbringen und die ihnen für andere Dinge, die sie gemacht haben bevor sie Mutter wurden, fehlt.
Wie kommen Frauen mit diesem Konflikt zurecht?
Viele Mütter haben ein schlechtes Gewissen wegen dieser gemischten Gefühle. Das müssen sie aber gar nicht. Es handelt sich nicht um einen psychologischen Defekt, den sie bei einem Therapeuten behandeln lassen müssten. Es ist ein ganz natürlicher Teil ihres Mutterseins. Es ist Teil der ökologischen Seite der Mutterschaft. Denn Mütter wägen wie alle Lebewesen ständig zwischen einzelnen Dingen ab und verrechnen sie gegeneinander. In frühen Zeiten der Menschheit wogen Mütter ab zwischen der Zahl ihrer Kinder, der Zeit, die sie Beeren sammeln konnten und ihren Überlebenschancen. Heute wägen sie das Muttersein eben mit einer möglichen Karriere ab.
Menschliche Mütter unterscheiden sich von den meisten anderen Primatenmüttern. Unsere mütterliche Bindung und Hingabe scheint mehr als bei anderen Primaten auf ein soziales Umfeld angewiesen zu sein. Es gibt einige wenige Affenarten, bei denen die Mütter bei der Aufzucht auch von anderen, so genannten Allo-Müttern, unterstützt werden. Sie betreiben eine kooperative Aufzucht. Unter solchen Bedingungen kann man sich vorstellen, dass die mütterliche Hingabe ganz sensibel darauf reagiert, wer in der Nähe ist, um zu helfen.