Lexikon

pos

[das; Plural Epen; griechisch, das Gesagte, Sage]
veraltet Epopöe
eine Großform der Epik: eine Verserzählung in gehobener Sprache, in der vor mythologischem oder historischem Hintergrund von abenteuerlichen und schicksalhaften Begebenheiten innerhalb eines geordneten Weltgefüges berichtet wird. Kompositionsprinzip ist die lockere Aneinanderreihung von Episoden, ein gleich bleibendes Metrum und eine hohe Stilebene mit oft formelhaften Wendungen. Die Romantik und die von ihr beeinflusste ältere Literaturwissenschaft (z. B. J. Grimm) unterschied zwischen Volksepos (ein aus der mündlichen Überlieferung eines Volkes „unbewusst“ entstandenes Heldenepos) und Kunstepos (bekannter Verfasser, eigene Gestaltung in Form und Inhalt). Die heutige Forschung geht dagegen bei allen Epen von individuellen Verfassern aus, auch wenn einige davon anonym sind, wie z. B. beim „Nibelungenlied“. Unterschieden werden Götterepos, Heldenepos, höfisches Epos, Tierepos und komisches Epos (Parodie).
Der Ursprung von Epen sind die meist mündlich überlieferten, mythologischen Erzählungen und Sagenkreise um Götter-, Herrschergeschlechter und Heroen, die ihrerseits realgeschichtliche Ereignisse (Völkerwanderung, Staatengründung, Eroberungen, Kriege) verarbeiten. Die ersten Epen finden sich im außereuropäischen Kulturkreis, so das babylonische Gilgamesch-Epos aus dem 2. Jahrtausend v. Chr., die indischen Epen Mahabharata und Ramayana (5. Jahrhundert v. Chr. und 4. Jahrhundert n. Chr.), die allerdings nicht auf das europäische Epos einwirkten, im Gegensatz zum „Königsbuch“ („Shah-Namé“) des Persers Firdausi (ca. 1000 n. Chr.), das schon im Mittelalter in Europa bekannt war.
Gilgamesch-Epos
Gilgamesch-Epos
Auf der Grundlage älterer sumerischer und akkadischer Überlieferungen entstand um 1200 v. Chr. das babylonische Heldenepos über Gilgamesch, den König von Uruk.
Die Anfänge des europäischen Epos bilden die Ilias und die Odyssee von Homer sowie Vergils „Aeneis“, die das große Vorbild für die lateinische und mittelalterliche Epik werden sollte. Frühmittelalterliche Heldenepen sind in England der „Beowulf“, in Deutschland der lateinische „Waltharius“, das „Nibelungenlied“ und die „Kudrun“; im romanischen Sprachraum die französischen „Chansons de geste“ und der spanische „Cid“. Im Hochmittelalter entsteht das höfische Epos, z. B. die Artus-Epen von Chrétien de Troyes und in seiner Nachfolge die Versepen Hartmanns von Aue („Iwein“, „Erec“), Wolframs von Eschenbach („Parzival“), Gottfrieds von Straßburg („Tristan und Isolde“) sowie die Spielmannsdichtung. Das Spätmittelalter bringt mit Dante Alighieris „Divina Commedia“ eines der bedeutendsten Epen hervor. In Renaissance und Humanismus bildet sich das Nationalepos heraus. Alte Stoffe der Heldensage und Motive des höfischen Romans werden verwoben und auf die jeweils eigene Nation des Dichters zugeschnitten; zu nennen sind hier L. Ariostos „Orlando furioso“, T. Tassos „Gerusalemme liberata“, A. de Ercilla y Zúñigas „La Araucana“, L. Camões „Die Lusiaden“ und J. Miltons „Paradise Lost“.
Griechische Literatur: Ilias
Illustration zur Ilias
Illustration zum 6. Buch aus der nur fragmentarisch erhaltenen ältesten Ilias-Handschrift aus dem 5./6. Jahrhundert. Biblioteca Ambrosiana, Mailand
In der Zeit der Aufklärung entstehen Klopstocks biblisches Epos „Der Messias“, das dem Pietismus und dem Empfindsamkeit verbunden ist, und C. M. Wielands „Oberon“, der die galante Ritter- und Feenwelt wieder entdeckt. Goethe knüpft mit „Hermann und Dorothea“ bewusst an die homerische Tradition an, verbindet bürgerliche Anschauung und idyllische Inhalte mit der alten Form des Hexameters; mit dem „Reineke Fuchs“ griff er die Form des Tierepos auf. Literaturtheoretisch gilt im 18. Jahrhundert zunehmend der Roman als die moderne Form des Epos, das mit dem Übergang zum 19. Jahrhundert fast ausschließlich als historische Gattung angesehen wird. So entstehen vor allem historische Epen, u. a. V. von Scheffels „Trompeter von Säckingen“ oder C. F. Meyers „Huttens letzte Tage“. Die Epen des 20. Jahrhunderts sind weniger geschichtlich ausgerichtet, sondern orientieren sich an Themen der als krisenhaft empfundenen Moderne, so C. Spittelers „Olympischer Frühling“, T. Däublers „Nordlicht“, G. Hauptmanns „Till Eulenspiegel“. Nach 1945 kommt die Epenproduktion zu einem Ende; sehr vereinzelt entstenden Großgedichte in Anlehnung an die epische Tradition, so H. M. Enzensbergers „Untergang der Titanic“ oder D. Grünbeins „Vom Schnee“.

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