Lexikon

Flüchtling

englisch Refugee, französisch Réfugié, allgemein eine Person, die infolge von Kriegen und Konflikten, wegen politischer Verfolgung oder anderer existenzieller Notlagen ihre Heimat verlassen muss. Displaced Persons; Vertriebene.
Ziel einer effektiven Flüchtlingshilfe ist, die akute soziale Not zu lindern, Flüchtlinge in aufnahmefähige Länder umzusiedeln bzw. für ihre freiwillige Repatriierung zu sorgen. Nach dem 1. Weltkrieg nahm sich der Völkerbund der Flüchtlinge an, nach dem 2. Weltkrieg ging diese Aufgabe an die UNO über. Die Betreuung der Flüchtlinge leistet das Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR). Flüchtlingsskommissar ist seit 2005 der Portugiese A. Guterres. Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 bezeichnet als Flüchtling eine Person, die „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt“. Dieser Flüchtlingsbegriff erfuhr inzwischen eine Ausweitung. Obwohl die Konvention Flüchtlinge vor Kriegen und Konflikten nicht ausdrücklich erwähnt, werden diese von UNHCR rechtlich als solche anerkannt. Die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft ist Sache des Asyl gewährenden Staates (Asylrecht). UNHCR unterstützt auch Binnenvertriebene, die in ihrem eigenen Land auf der Flucht sind.
Flüchtlingsbewegungen auf Grund von Kriegen u. a. Notlagen gab es zu fast allen Zeiten. In der Antike war die Flucht ein Rechtsmittel. So konnten Rechtsbrecher durch die von den Behörden zugelassene Flucht aus dem römischen Gebiet einer Bestrafung ausweichen (Exilium). Ein Beispiel für eine Flüchtlingsbewegung in der Frühen Neuzeit bildete die Flucht der Hugenotten aus Frankreich nach der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685.
Im 20. Jahrhundert steigerte sich das Flüchtlingsproblem zu nie gekannten Ausmaßen. Zwischen 1890 und 1919 flüchteten rund 1 Mio. Armenier vor den Türken, nach 1917 rund 1,5 Mio. russische Flüchtlinge in westeuropäische Staaten. In Deutschland war der Flüchtlingsstrom als Folge des 2. Weltkriegs durch Vertreibung und Aussiedlung aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten (rund 13,1 Mio.), Flucht aus der SBZ/DDR (rund 3,9 Mio.) und Umsiedlung von Volksdeutschen besonders groß. Die Aufspaltung des indischen Subkontinents (1947) in die beiden Staaten Indien und Pakistan führte dazu, dass rund 8,8 Mio. Hindus und 8,6 Mio. Muslime ihre Heimat verloren. Aus Palästina flohen fast 1 Mio. Araber. Während des Koreakrieges 19501953 waren etwa 5 Mio. Koreaner auf der Flucht.
Die Entkolonialisierung Afrikas verstärkte das Flüchtlingsproblem. Auch danach bildete auf dem afrikanischen Kontinent der Teufelskreis aus Krieg, Repression und Hunger das Fundament für große Flüchtlingskatastrophen am Horn von Afrika, in Moçambique, im Sudan (Darfur) und in Liberia sowie in Ruanda und Burundi. Weitere Krisenherde bildeten u. a. Somalia und die Demokratische Republik Kongo. 2011 führten die Umsturzbewegungen in Nordafrika zum Anstieg der Flüchtlingszahlen (Libyen). Die USA gaben einerseits rd. 1 Million Revolutionsflüchtlingen aus Kuba politisches Asyl, versuchten aber andererseits, den Zustrom von illegalen Einwanderern aus Lateinamerika und der Karibik zu stoppen. In Asien bewirkten die politischen Krisen und militärischen Konflikte in Afghanistan, Irak, Iran, Kambodscha, Sri Lanka und Vietnam in den vergangenen Jahrzehnten enorme Flüchtlingsbewegungen. In den 1990er Jahren wurden in Europa neue Flüchtlingsströme durch den Zerfall Jugoslawiens ausgelöst. Zusätzlich verstärkten das Wohlstandsgefälle zwischen West- und Osteuropa und Bürgerkriege in den Randrepubliken der ehemaligen UdSSR nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, der durch eine neue »Wohlstandsmauer« ersetzt wurde, den Migrationsdruck aus dem Osten. In jüngster Zeit nahmen die Flüchtlingsströme von Afrika nach Europa zu (so 2011 im Zuge der Umwälzungen in Nordafrika nach Italien).
Ende 2010 fielen in den Verantwortungsbereich von UNHCR rd. 43,7 Mio. Personen (Flüchtlinge, Binnenvertriebene, Asylsuchende u. a.). Personen aus Afghanistan und Irak hatten den größten Anteil an den weltweiten Flüchtlingszahlen.
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