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MP3 - eine Erfindung verändert die Musikbranche

Die Suche nach einer praktischen Möglichkeit, seine Musiksammlung unterzubringen, ist ein heute fast vergessenes Problem. Statt wie früher CDs oder sogar Schallplatten in Regale einzusortieren, begann mit der Erfindung des Audioformats MP3 ein neues Musikzeitalter - inklusive digitaler Lagermöglichkeiten. Formate wie dieses vereinfachen es, Musik überall mit hinzunehmen und zu speichern – eine bahnbrechende Erfindung und eine Revolution der Musikindustrie.
ABO, 17.09.2020

Die Spektralanalyse des Beatles-Songs "Yesterday" in MP3-Kompression (Daten­rate 128 kbit/s) zeigt, dass die Band­breite bei der Encodie­rung auf etwa 15 kHz begrenzt wurde. Derr Encoder kann sich auf das "Wesent­liche" konzentrieren.

MP3 steht für „MPEG-1 Audio Layer 3“ - ein Verfahren der sogenannten „Moving Picture Experts Group“, um große digitale Audiodateien zu komprimieren. Bei der Kompression verringert sich die Audioqualität nur kaum merklich, weil alle Signalanteile erhalten bleiben, die der Mensch wahrnimmt. Die Datenmenge wird so reduziert, dass Musik dadurch weniger Speicherplatz benötigt: Im Vergleich zur originalen Musik-Datei kommt eine MP3-Datei mit nur zehn Prozent der ursprünglichen Dateigröße aus. So kann sie schnell übers Internet verbreitet und in großer Zahl gespeichert werden kann.

Wie das MP3-Format entstand

Ende des 19. Jahrhunderts begann die Ära der Schallplatten. 1982 brachten dann CDs einen riesigen Aufschwung in der Musikbranche. Die Erfindung komprimierter Audioformate - wie MP3 - veränderte schließlich die gesamte Industrie bis heute.

Diese Revolution war aber zunächst nicht beabsichtigt: Deutsche Wissenschaftler von der Universität Erlangen- Nürnberg und dem Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen tüftelten in den 1980er-Jahren zunächst daran, Musiksignale über Telefonleitungen zu übertragen. Dabei gelang ihnen ein erster Durchbruch in der Geschichte der Audiocodierung. Mit dem sogenannten LC-ATC-Algorithmus war es erstmals möglich, Stereomusik in Echtzeit zu codieren. „Bis dahin existierte LC-ATC nur als Computersimulation und viele Arbeitsstunden von Hochleistungsrechnern waren nötig, um das Verfahren zu testen“, sagt Ernst Eberlein von der Universität Erlangen-Nürnberg.

Die Verbesserungen des Algorithmus galten als erste Innovation. Danach folgte 1988 der OCF-Algorithmus, der bereits viele Eigenschaften des zukünftigen MP3-Codecs enthielt. „OCF realisierte die Vision aus den siebziger Jahren, Musik über Telefonleitungen zu übertragen. Erstmals konnten wir Musik in guter Qualität bei 64 Kilobytes pro Sekunde für ein Monosignal komprimieren“, erklärt Karlheinz Brandenburg vom Fraunhofer-Institut.

1989 wird OCF für den geplanten Audiostandard der Internationalen Organisation „Moving Picture Experts Group MPEG“ vorgeschlagen. Einige der dortigen Vorschläge vereinigten sich zu den Audiocodierungen MUSICAM ( Masking pattern adapted Universal Subband Integrated Coding And Multiplexing) und ASPEC (Adaptive Spectral Perceptual Entropy Coding) – eine verbesserte Version von OCF. Nach ausführlichen Tests schlagen die Experten der MPEG vor, aus MUSICAM und ASPEC eine Familie aus drei Codierverfahren zu gründen: Layer 1 als Variante von MUSICAM mit geringer Komplexität, Layer 2 als MUSICAM-Coder und Layer 3 basierend auf einer Weiterentwicklung von ASPEC. Letzteres wird heute MP3 genannt.

MP3-Player - in den 2000er waren sie überall dabei und immer griffbereit, heute verstauben sie zusammen mit alten Handys und Ladekabeln, denen man längst kein Gerät mehr zuordnen kann.

Vermarktung auf Umwegen

Das Fraunhofer Institut verkaufte bereits während der Entwicklung von MP3 – dem effizientesten der drei Codecs - professionelle Geräte an Rundfunkanstalten und nutzte die Einnahmen zur weiteren Forschung. Im Dezember 1991 schlossen die Forscher die technische Entwicklung des MPEG-1-Standards ab. 1995 bekommt MP3 schließlich seinen heutigen Namen. Doch nach Abschluss der technischen Entwicklung hatten viele große Unternehmen der Unterhaltungselektronik kein Interesse an dem Audioformat. Die Vermarktung der Kompressions-Software wurde zu einem Kampf.

Die MP3-Mitentwickler wie Harald Hopp ahnten aber ihre Erfolgschancen: „Uns war von Anfang an klar, dass MP3 der Schlüssel zur einfachen Speicherung und Übertragung von Musik ist.“ Zur Realität wurde ihre Vision durch die Vermarktung übers Internet. Dieser digitale Vertrieb galt damals als Neuheit.

Ab 1998 erschienen schließlich die ersten tragbaren MP3-Player im Handel, an deren Entwicklung die Forscher des Fraunhofer-Instituts auch mitwirkten. Viele Firmen brachten - aufgrund der sinkenden Preise für Speichergeräte – ihre eigenen MP3-Player auf den Markt. Die Möglichkeit, nun nicht mehr Regale mit Musiksammlungen füllen zu müssen, lockte viele Musikliebhaber an.

Zunehmend verbreitete sich MP3 auch international, denn das Internet gewann an großer Beliebtheit. Ein australischer Student zerstörte schließlich das Geschäftsmodell, indem er auf die Software zugriff und sie öffentlich verfügbar machte. So entstanden Ende der 1990er-Jahre sogar erste Musik-Tauschbörsen - wie Napster - im Internet, was die Anzahl der Nutzer erheblich steigen ließ. Zwar verbreitete sich die Software dadurch wie ein Lauffeuer, aber gleichzeitig begann auch die rasante Vertrieb von Musik im MP3-Format unter Missachtung der Urheberrechte. Die Forscher sprachen sich gegen die illegale Nutzung von Musikstücken im Internet aus. Versuche der Musikindustrie, dagegen vorzugehen, sind bis heute nur von mäßigem Erfolg geprägt.

Der MP3-Player verlor mit dem Aufkommen der Smartphones seine Funktion.

üixabay.com, Sammy-Williams

MP3 bekommt "Geschwister"

Sowohl die Fraunhofer-Gesellschaft als auch teilhabende Firmen verlangten aber seit 1998 Lizenzgebühren für die Verwendung des MP3-Encoders. Die Lizenzierung belebte das Geschäft um alternative Audioformate: So präsentierte Microsoft schon 1999 mit Windows Media Audio (WMA) ein firmeneigenes Audioformat. Durch die weite Verbreitung von Microsoft-Betriebssystemen und eine nochmal geringere Datengröße wurde WMA zur Konkurrenz von MP3. Demgegenüber stehen allerdings auch Schwächen wie die teils schlechtere Tonqualität und die Inkompatibilität mit anderen Plattformen.

1999 entstand zudem Advanced Audio Coding (AAC). Dieses Format ist ein von der MP3-Software unabhängig entwickeltes Produkt, das vergleichbare Klangqualitäten bei einer geringeren Komplexität bietet. Seit dem Beginn des neuen Jahrtausends wurde dann ein weiterer freies Audioformat entwickelt: Der Free Lossless Audio Codec (FLAC), bei dem das Ursprungsmaterial komplett verlustfrei komprimiert ist. Die verbesserte Klangqualität bedeutet allerdings auch größere Dateien.

Auch Apple verfügt seit 2004 über ein eigenes Audioformat. Der Apple Lossless Audio Codec (ALAC) ist ebenfalls eine freie Software, die eine Komprimierung der Originaldatei ohne Verluste ermöglicht, wobei die Dateigröße aber auch entsprechend hoch ist. Ohne die richtige Software kann das Format aber nicht verwendet werden.

MP3 im digitalen Zeitalter

Aber was geschah mit dem MP3-Format? 2012 wurde MP3 in Europa patentfrei. Im Mai 2017 stellten die Entwickler die Lizenzierungen für das Format vollständig ein, nachdem die letzten Patente in den USA ausliefen. Heute handelt es sich somit um einen frei verfügbaren Standard. Der MP3-Player verlor mit der Popularität der Smartphones seine Funktion.

Und obwohl das MP3-Format längst Konkurrenz von besseren Kompressionsverfahren bekommen hat, ist es nach wie vor ein verbreitetes digitales Audioformat. Zum Musikhören unterwegs nutzt die Mehrheit der Musikliebhaber heute Streaming-Dienste, die auch auf MP3- oder ACC-Formate zurückgreifen. Spotify nutzt zudem das OGG-Format – ebenfalls ein verlustbehaftetes Audioformat.

Einen schlechten Ruf hat MP3 heute hauptsächlich aufgrund der leichten Klangverluste, die durch die Komprimierung entstehen. Experten vermuten, dass verlustbehaftete Audioformate in Zukunft von den verlustfreien Alternativen verdrängt werden könnten. Musik-Streamingdienste  erlauben es mittlerweile, digitalisierte Musik – meist gegen Aufpreis – auch verlustfrei zu hören. Dadurch finden insbesondere das Angebot ALAC von Apple oder das frei verfügbare FLAC-Format Verbreitung.

Dennoch bleibt die Erfindung der Fraunhofer-Forscher ein Meilenstein in der Entwicklung der Musikbranche: „Es ist doch der Traum jedes Forschers, etwas Nützliches für die Menschheit zu entwickeln", sagte Brandenburg. "Wir träumten damals vom digitalen Hör-Rundfunk und Millionen von Nutzern. Jetzt sind es viele Milliarden Geräte, die mit dem Format arbeiten, das übersteigt die damaligen Träume noch deutlich."

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