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Russland: Demokratie ohne Volk

Seit Wladimir Putin zurück auf dem russischen Präsidentenstuhl ist, sind eine Reihe von liberalen Gesetzen verschärft worden. Von einer Demokratie ist Russland nach wie vor entfernt.
von wissen.de Autorin Inna Hartwich, Oktober 2012

Schrittweise werden demokratische Werte eingeschränkt

Punkband Pussy Riot
Picture-Alliance GmbH, Frankfurt/ MAXIM SHIPENKOV

Eines Tages, da war sie sich sicher, wäre sie weg aus dieser Stadt. Hier ist sie vor bald 26 Jahren geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen, hier hat sie studiert, das Leben und die Liebe kennengelernt. Doch Olga Kuratschowa wollte nicht mehr in Moskau sein. Zu eingezwängt, der Alltag, zu trüb, die politische Stimmung. Sie würde bald auswandern, so ihr Entschluss, Deutsch spricht sie, Tschechisch. Dann aber kam dieser Winter 2011, unaufhaltsam wie immer, aber so anders als alle Winter zuvor. Es kamen der 4. Dezember, die Parlamentswahlen, der 5. Dezember, ihre erste Demo, der 6. Dezember, die erste Festnahme. Und ihr erster Auftritt gegen Wladimir Putin. Nackt im Schnee, bei minus 17 Grad. Olga Kuratschowa fühlte sich um ihre Stimme betrogen. Weg aus Moskau? Ein Blödsinn, hier ging es jetzt um ihre Bürgerrechte, um eine neue Gesellschaft! Ihr politisches Erwachen begann. Wie auch das von Hunderttausenden von Russen. Sie hielten ihre Nase in den Wind des Wandels. Seit Putin aber – der Ex-KGB-Mann wird in diesen Tagen 60 Jahre alt – wieder zurück auf dem Präsidentenstuhl ist, hat sich dieser Wind gedreht. Nach und nach werden in Russland demokratische Werte eingeschränkt. Die Polizei durchsucht Wohnungen von Oppositionellen, die Staatsanwaltschaft zerrt Andersdenkende vor Gericht. Sei es der bloggende Anti-Korruptionskämpfer Alexej Nawalny oder die rebellierenden Punk-Mädchen von „Pussy Riot“.

Das Verbrechen all der Studenten, der Blogger, der Künstler, der Unternehmer, der Politiker ist das etwas andere Denken. Ein Denken, das nicht mit dem Gedankenkonstrukt des russischen Präsidenten konform geht. Die Regimegegner träumen von einem freiheitlichen, liberalen Russland, von einer politischen Vielfalt und einer gerechten Justiz. Das aber wird ein Traum bleiben, die nächsten zwölf Jahre vielleicht. Denn für den russischen Präsidenten sind solche Gedanken aufrührerisch, zerstören sie doch angeblich die Stabilität. Deshalb müssen die Andersdenkenden bekämpft werden. Verbannt in die Strafkolonie, weg von der Oberfläche, obwohl sie längst an der Oberfläche sind.

 

Liberale Gesetze verschärfen sich seit Putins Amtsantritt

Demonstration in Russland
Picture-Alliance GmbH, Frankfurt/Vadim Zhernov/RIA Novosti

Kaum zurück auf seinem alten Posten, ließ Putin eine Reihe von Gesetzen verschärfen, die unter seinem Vorgänger Dmitri Medwedew liberalisiert oder ganz abgeschafft worden waren. Den Anfang machte der Tatbestand der Verleumdung. Nach etlichem Hin und Her stimmte das Parlament im Dezember 2011 dafür, Verleumdung nur noch als Ordnungswidrigkeit zu ahnden – um sie ein halbes Jahr später, nun auf Geheiß Putins, wieder ins Strafgesetzbuch aufzunehmen. Es folgten weitere Änderungen, die die Duma, das russische Parlament, geradezu durch die Abstimmungen peitschte. Ebenfalls im Juni stimmten die Abgeordneten für ein geändertes Versammlungsrecht, das die Kreml-Partei „Einiges Russland“ eingebracht hatte. Vor allem die drakonischen Strafen sollen Putins Kritiker von Protesten abhalten. Bis zu 300.000 Rubel (umgerechnet etwa 7.000 Euro) müssen einzelne Personen bei Zuwiderhandlung zahlen, Organisationen bis zu einer Million Rubel (24.000 Euro). Die Strafen sind damit 150 Mal höher als bisher. In Deutschland werden Verletzungen des Demonstrationsrechts mit bis zu 500 Euro geahndet. Als Verstoß gelten in Russland das Tragen von Masken oder auch organisierte Spaziergänge durch die Stadt.

Hatte Medwedew im Jahre 2009 dafür gesorgt, dass sich Nichtregierungsorganisationen (NGO) in einem vereinfachten Verfahren registrieren lassen können, müssen sich NGOs – vor allem solche, die finanzielle Mittel aus dem Ausland erhalten –, nun als „ausländische Agenten“ erfassen lassen. Auch ausländischen Organisationen geht es an den Kragen. USAID, die US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit, muss Russland nach mehr als 20 Jahren gar verlassen. Der Vorwurf: USAID habe sich in den politischen Prozess des Landes eingemischt. Erstmals ist auch eine gesetzliche Sperrung von Internetseiten erlaubt. Als Erklärung wird der Schutz von Kindern eingeführt. Mit Kindern begründen Staat und Kirche derzeit einiges. Selbst ein Regenbogen auf einer Milchpackung kann gefährlich werden. Damit, so argumentiert eine kirchliche Organisation, werde Homosexualität propagiert. Und das ist zumindest in einigen Städten Russlands seit Kurzem gesetzlich verboten.

Vielfalt duldet der russische Staat scheinbar nur so lange, bis sie sich gegen den Präsidenten persönlich richtet, gegen sein sowjetisch geprägtes imperialistisches Bild von einer abgeschotteten Welt, die umzingelt ist von äußeren Feinden. Ein Teil des russischen Volkes möchte dies nicht länger hinnehmen und kämpft dagegen mit teils rabiaten Mitteln. Gegen die harte Hand Putins reicht das jedoch nicht.

Olga Kuratschowa macht dieser Kampf müde. Und wieder taucht der Gedanke vom Auswandern auf, vom Weggang aus Russland, für dessen „echte Freiheit“, wie die Mitarbeiterin des tschechischen Zentrums in Moskau sagt, sie so vehement kämpft.

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