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Skrupellose Medien

Die Rolle der Medien im Gladbecker Geiseldrama löst über die deutschen Grenzen hinaus Empörung und Betroffenheit aus. Kommentatoren in aller Welt werfen den Reportern vor, in grober Weise die Grundsätze des Journalismus verletzt zu haben. Die im Vatikan erscheinende Zeitung »L'Osservatore Romano« bezeichnet die deutschen Medien als skrupellos. Journalisten hätten den Geiselnehmern bereitwillig ein öffentliches Podium geboten, die Polizeiarbeit behindert und damit den Tod der Geiseln in Kauf genommen. Kritisch äußern sich auch deutsche Politiker. Johannes Gerster, innenpolitischer Sprecher der CDU, erklärt, das legitime Bedürfnis nach Information dürfe nicht auf Kosten der Sicherheit der Geiseln befriedigt werden.

aus der "Chronik 1988" (Chronik-Verlag)

August 1988 - Geiseldrama in Gladbeck
Corbis-Bettmann, New York
Die Kritik trifft vor allem den sensationslüsternen Boulevardjournalismus. Den Geiselnehmern folgte während der rund 1000 km langen, drei Tage dauernden Irrfahrt durch die Bundesrepublik und die Niederlande zeitweilig ein Tross von rund 25 Fahrzeugen mit Journalisten. In Köln – das Geiseldrama hatte zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Todesopfer gefordert – erwartete u.a. der stellvertretende Chefredakteur einer regionalen Boulevardzeitung die Gangster. Er stieg in den Wagen und legte eine kurze Wegstrecke gemeinsam mit den übermüdeten, unberechenbaren Geiselnehmern zurück. Während die beiden Geiseln in Todesgefahr schwebten, führte der Journalist Interviews. Die bei anderer Gelegenheit auf ihre Seriosität bedachten öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten beteiligten sich ebenfalls an dem Spektakel. ARD und ZDF zeigten umfangreiche Liveaufnahmen von der Hetzjagd und präsentierten ihrem Millionenpublikum ein Interview mit einem der Geiselnehmer.

 

Auch in den Medien selbst wird Kritik an der Berichterstattung laut. Der Deutsche Presserat, Organ der freiwilligen Selbstverwaltung und Selbstkontrolle der bundesdeutschen Presse, spricht sich nach dem Gladbecker Geiseldrama für eine Neufassung der Richtlinien für die Berichterstattung bei Gewaltverbrechen aus. Die Zeitschrift "journalist" beklagt eine "Besinnungslosigkeit im Journalismus", die ihre Ursache in der von Privatisierung und Pressekonzentration geprägten Medienlandschaft habe. Der scharfe Wettbewerb führe dazu, dass einige Journalisten ethisch-moralische Bedenken zugunsten spektakulärer Berichterstattung beiseiteschieben. Die Verantwortung dafür sei in der Politik zu suchen. Wer die Kommerzialisierung der Medien vorantreibe, dürfe sich über Auswüchse nicht beklagen.

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