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Wie Hochwasser entsteht

Hochwasser in unterschiedlichen Gebieten

Hochwasser kann in unseren Breiten zu allen Jahreszeiten auftreten. Statistisch betrachtet führt z.B. der Rhein jährlich 1,5-, die Elbe 1,7-, die Oder 2- und die Donau 3-mal Hochwasser. Die Wissenschaftler unterscheiden ein Sommerhochwasser und ein Winterhochwasser. Das Sommerhochwasser kann nach sommerlichen Starkregen, z.B. bei Gewittern, auftreten. Besonders anfällig dafür sind kleine Einzugsgebiete, etwa Quellgebiete im Gebirge. In kurzer Zeit steigt das Hochwasser an und fließt mit hohen Wassermengen ab. Für das so genannte Winterhochwasser ist kennzeichnend, dass Niederschläge und/oder Schneeschmelze große Abflussmengen verursachen und diese langsam ansteigen und abfallen. Das Abflussgebiet im Unterlauf ist dann besonders gefährdet, wenn die hohen Wasserstände mehrerer Flussläufe zusammentreffen.

In den verschiedenen Klimazonen und Flussgebieten sind Hochwasser unterschiedlich häufig. In Mitteleuropa kommen Hochwasser am häufigsten in den ersten Sommermonaten vor. Gegenden mit regelmäßiger Schneeschmelze am Ende des Winters haben meist im Frühling Hochwasser, während tropische Gebiete in der Regenzeit von Hochwasser heimgesucht werden. So sind auf der Nordhalbkugel in den Tropen die größten Durchflüsse in den Monaten Juli bis September zu verzeichnen. Der Ganges, der Blaue Nil und der Irrawaddy haben ihre größten Durchflüsse im August. Auf der Südhalbkugel liegen entsprechend den Regenzeiten die Durchflussspitzen in den Monaten Februar bis April. Der Wechsel von Hoch- und Niedrigwasser ist eine völlig normale Erscheinung. Zur unberechenbaren Gefahr wird ein Fluss, wenn er in besiedelten Gebieten außerordentliche Hochfluten bildet, für die der Mensch nicht oder nur unzureichend vorgesorgt hat.

Ist das Speichervolumen des Erdbodens ausgenutzt, der Boden also mit Wasser gesättigt, z. B. in unseren Breiten nach einer längeren Niederschlagsperiode im November/Dezember, und fällt erneut starker Niederschlag, so passiert Folgendes: Als wäre der Boden mit Asphalt versiegelt, muss das gesamte Niederschlagswasser oberflächig in Bäche und Flüsse abfließen. Das Wasser sammelt sich in den Bächen, kann aber nicht so schnell abfließen, so dass es zur Bildung einer Hochwasserwelle kommt. Eine typische Wettersituation hierfür ist der Wechsel zwischen Schnee bringenden Kaltfronten und Schnee schmelzenden Warmfronten mit zusätzlichen hohen Niederschlägen. Das Weihnachtshochwasser 1993 am Rhein war zum Beispiel so entstanden. Bei jedem Hochwasser kommt es zu einem raschen Anstieg des Wasserstandes im Fluss. Ein Hochwasser kann bei größeren Flüssen 25-mal größer als das kleinste Niedrigwasser, bei mittleren Flüssen sogar 250-mal größer sein. Es sind auch schon Hochwasser beobachtet worden, die das 1 350-fache des kleinsten Niedrigwassers betrugen.

Bei Katastrophen besteht die Gefahr, dass der unzureichend regulierte Fluss sein natürliches Überschwemmungsgebiet zurückerobern will. Im Gebirge genügen schon räumlich sehr begrenzte Unwetter, um sogar Bäche zerstörerisch anschwellen zu lassen. Der geringe Querschnitt des Flussbettes, besonders in eng und tief eingeschnittenen Tälern, verleiht der Flutwelle eine ungeheure Kraft. Aufgrund des starken Gefälles wälzt sich das Wasser besonders schnell zu Tal. Wo es über die Ufer tritt, vermag es, unterstützt durch die Gewalt des mitgeführten Gerölls, Häuser und Brücken rasant hinwegzumähen. Das Unglück vollzieht sich oft blitzschnell.

Völlig anders entwickelt sich eine Hochflut in den riesigen Strömen des Tieflandes. Die Hochflut baut sich allmählicher und in einem größeren Einzugsgebiet auf. Eine vereinzelte Hochwasserwelle im Oberlauf eines Nebenflusses, so verheerend sie sich lokal auswirken kann, wird im Unterlauf des Hauptflusses kaum spürbar. Um eine Hochflut in den Unterläufen zu erzeugen, bedarf es einer viel umfangreicheren Wasserzufuhr. Ungewöhnlich starke Niederschläge müssen über einen längeren Zeitraum über einem weiten Teil des Einzugsgebietes niedergehen. Hochfluten der Nebenflüsse müssen sich im Hauptfluss summieren. Die Gefahr für das Zustandekommen solcher Hochfluten ist besonders dann gegeben, wenn der Fluss bereits zu einer Zeit, in der er normalerweise Niedrigwasser führt, mehr Wasser als gewöhnlich enthält und ihm in der nun folgenden üblichen Zeit des Hochwassers durch hohe Niederschläge abermals überdurchschnittlich große Abflussmengen zugeleitet werden. Durch diese schrittweise Steigerung kündigt sich das Entstehen eines außergewöhnlichen Hochwassers bereits Wochen vorher warnend an. Kommt es dann zur Herausbildung einer Flutwelle, überrollt sie das Tiefland nicht schlagartig. Man kann sogar aufgrund der hydrographischen Verhältnisse in den Ober- und Mittelläufen ihr Eintreffen recht exakt prognostizieren.

Die größten und verheerendsten Überschwemmungen gehen von Flüssen aus, die nach anhaltenden oder plötzlichen Regengüssen oder jäh einsetzender Schneeschmelze angeschwollen sind. Die Durchlässigkeit des Bodens, der starke Regenfälle aufnimmt, entscheidet als bestimmender Faktor über die Menge des den Flüssen zugeführten Oberflächenwassers. Wenn die Bodenoberfläche noch gefroren ist, können bereits geringe Niederschläge große Hochwasser verursachen. Bei den von Süden nach Norden entwässernden großen Strömen Sibiriens behindert gleichzeitig der Eisgang in den Mündungsgebieten den natürlichen Abfluss ins Meer; riesige Landschaften verwandeln sich so jedes Jahr in unzugängliche Sumpfgebiete.

 

Die bekannten höchsten Hochwasserstände ausgewählter Flüsse

 

FlussOrtAnstieg in m
RheinBasel6
GaronneAgen11,7
RheinKöln13,55
NilAssuan15
MississippiVicksburg17,9
OhioCincinnati24,4
Colorado um 30
Chang Jiang um 60

 

Abschließend lassen sich als Ursachen für Hochwasser und Überschwemmungen folgende Bedingungen festhalten:

  • anhaltend starke Regenfälle
  • Schneeschmelze
  • Damm- und/oder Deichbrüche
  • Küstenüberschwemmungen durch Sturmfluten und Seebeben (Tsunamis)
  • Bruch eines Gletscherbeckensees
  • Sinken der Küstenlinie infolge geologischer Landsenkung beziehungsweise Steigen des Meeresspiegels
  • Speichervermögen des Einzugsgebietes ungünstig. Das Speichervermögen ist abhängig von der Höhenlage, Hangneigung, Durchlässigkeit und Wassersättigung des Bodens, Pflanzendecke
  • Wasserstau aufgrund von Erdrutschen und Eisgang im Mündungsgebiet

 

Der Einfluss des Menschen auf die Entstehungsbedingungen von Hochwasser

Oft löst der Mensch aus Fahrlässigkeit oder in Unkenntnis der größeren Zusammenhänge Hochwasserkatastrophen aus, verschlimmert oder beschleunigt sie:

  • Entwaldungen in Bergländern vernichten die natürliche Pflanzendecke, die bisher das Erodieren des Bodens in den Hanglagen verhindert hatte, und verschlimmern die Überschwemmungen im vorgelagerten Flachland.
  • Gewässerausbau, u.a. durch Flussbegradigungen und Wildbachverbauungen, wirkt sich dabei ebenso verstärkend aus wie
  • Versiegelung und Bebauung der Flussauen, der natürlichen Überflutungsflächen, für den Bedarf an Gewerbe-, Wohn- und Verkehrsflächen.
  • Umwandlung von Grünland in Ackerland. Der Einsatz von schwerem Arbeitsgerät und Düngung fördert die Bodenverdichtung und führt zur Veränderung der Bodenstruktur. Dadurch fließt Niederschlagswasser schneller in die Bachläufe ab.
  • Zunehmende Bevölkerungs- und Wohndichte in hochwassergefährdeten Gebieten, z.B. in Bangladesch.
  • Meeresspiegelanstieg infolge Klimaerwärmung (u.a. durch Treibhauseffekt).

 

Wie sich Hochwasser auf die Umwelt auswirkt

Überschwemmungen haben auch positive Effekte: Dünge- und Bewässerungseffekte (z.B. im Nildelta bis zum Bau des Assuandammes; ohne die düngende und bewässernde alljährliche Überflutung der Felder durch den Nil hätte sich in Ägypten wohl keine Hochkultur entwickeln können).

Je nach Bausubstanz überfluteter Gebiete und Wucht des Hochwassers entstehen große Schäden im Siedlungsbereich und Transportwesen. Wenn Überschwemmungen kurz vor Ernten auftreten, sind schlimmste Auswirkungen für die Landwirtschaft und Ernährungslage zu befürchten. In der Geschichte lösten Überschwemmungen immer wieder Hungerkatastrophen aus. So sind häufig mehr Menschen wegen der Hungersnot gestorben als durch das Hochwasser, besonders in China, wenn der Huang He oder der Chang Jiang über die Ufer trat. Hochwasserkatastrophen werden zudem von Seuchengefahr begleitet, indem verschmutztes, schlammiges Wasser eine gefährliche Brutstätte für verschiedene Seuchen, wie Cholera, ist.

 

Schutzmaßnahmen vor Überschwemmungen

In Teilen Südostasiens und anderswo werden die Häuser auf Pfählen errichtet, um sie vor den jährlichen Überschwemmungen zu schützen. Überschwemmungen lassen sich durch Fluss- und Seedeiche eindämmen. Gräser, Hecken und Bäume können gepflanzt werden, um den Boden zu stabilisieren. Die Gefahr des oberflächlichen Abfließens von Regenwasser besteht überall dort, wo die schützende Vegetationsdecke fehlt. Wald verzögert am meisten den Abfluss und wirkt am intensivsten auf einen ausgeglicheneren Wasserhaushalt der Natur hin. Die lockere Struktur eines Waldbodens saugt die Niederschläge wie ein Schwamm auf.

Wenn in die Flussläufe Wasserreservoire eingestreut sind, so wirken sie sich auf das Abflussverhalten ausgleichend aus. So sammelt z.B. der Bodensee einen erheblichen Teil des Sommerhochwassers, um sie allmählich wieder abzugeben. In Nordamerika sind Bauvorhaben auf Überschwemmungsgebieten in Zonen eingeteilt worden, so dass die am ehesten entbehrlichen Aktivitäten dem Fluss am nächsten angesiedelt werden. Die kostspieligen Investitionen, wie Industrie- und Wohnungsbau, werden in die sicherste Zone verlegt, die am weitesten vom Fluss entfernt ist.

Nach dem verheerenden Hochwasser des Sommers 2002 reagierte die Bundesregierung. Im Sommer 2004 passierte das "Gesetz zur Verbesserung des vorbeugenden Hochwasserschutzes" den Bundestag. Ziel des Gesetzentwurfes ist es, in den Überschwemmungsgebieten grundsätzlich keine neuen Bau- und Gewerbegebiete zu ermöglichen. Auch die landwirtschaftliche Bodennutzung muss sich künftig an den Gefahren des Hochwassers orientieren. In besonders erosionsgefährdeten "Abflussbereichen" soll Ackerbau generell verboten werden. In Flussregionen mit Hochwassergefahr darf nur unter bestimmten Bedingungen Ackerbau betrieben werden. Schädliche Pflanzenschutz und Düngemittel dürfen in solchen Regionen nicht weiter eingesetzt werden. Weiterhin sollen Deiche zurückverlegt und Flussauen wiederhergestellt werden.