wissen.de Artikel

Wie sich Festivals nachhaltiger gestalten lassen

Zurückgelassene Zelte und Müllberge, soweit das Auge reicht: So sehen viele Festivalgelände an ihren letzten Tagen aus. Auch die An- und Abreise, die Verpflegung und die Stromversorgung der Zehntausenden Festivalbesucher sind nicht immer klimafreundlich. Doch wie umweltbelastend sind Festivals wirklich? Was lässt sich dagegen tun? Und sind komplett nachhaltige Großveranstaltungen überhaupt möglich?
THE, 08.07.2024
Openair-Konzert

© monkeybusinessimages, iStock

Rock am Ring, Hurricane, Fusion – spätestens im Juni hat der Festivalsommer begonnen. Die mehrtägigen Musikveranstaltungen ziehen dabei jedes Jahr Tausende Partyfreudige und Musikbegeisterte an. Das Rock am Ring hat beispielsweise 160.000 Besucher und beim Tomorrowland in Belgien, dem größten Festival der Welt, werden sogar 600.000 Besucher erwartet.

Doch all diese feiernden Menschen hinterlassen buchstäblich ihren ökologischen Fußabdruck auf dem Gelände, denn von der Anreise über die Verpflegung bis hin zur Stromversorgung verbraucht fast alles am Festivalbesuch einiges an Energie und die Teilnehmenden produzieren obendrauf noch reichlich Müll.

Mit den Feierlustigen kommt der Müll

Laut dem Kulturveranstalter FKP Scorpio wirft zum Beispiel eine Person auf dem Highfield, einem ostdeutschen Indie-Rock-Festival, täglich durchschnittlich ein Kilogramm Müll weg, auf dem Southside, einem der größten Open-Air-Festivals in Deutschland, sogar etwa 1,5 Kilogramm. Das klingt allerdings auf den ersten Blick nach mehr, als es tatsächlich ist. Zum Vergleich: Laut dem Statistischen Bundesamt landeten im Jahr 2021 pro Haushalt 483 Kilogramm Abfall in den Mülltonnen – das entspricht einer täglichen Menge von rund 1,3 Kilogramm pro Person. Festivalbesucher produzieren also während ihrer tagelangen Feierei nicht mehr Abfall als normalerweise auch.

Das Problem ist ein anderes: Die Festivalbesucher müssten den Müll am Ende der drei- bis fünftägigen Party eigentlich in Müllbeuteln entsorgen, statt ihn achtlos auf den Boden fallen zu lassen. Die Bilder der verdreckten Festivalgelände zeigen aber, dass dieser einfache Akt für viele Partymäuse überraschend schwer zu sein scheint. Viele Festivals nutzen deshalb ein Müllpfandsystem: Die Besucher zahlen zunächst zehn Euro mehr Eintritt und bekommen dieses Pfand dann zurück, wenn sie am Ende des Festivals einen vollen Müllsack an der Sammelstelle abgeben.  

Das Hurricane-Festival zwischen Bremen und Hamburg wiederum probiert eine alternative Lösung aus: „Trasholution“. Dabei löst jeder volle Müllsack eine Spende von einem Euro an soziale Projekte in der Region des jeweiligen Festivals aus. Der Spendenstand wird live getrackt und für alle Festivalbesucher sichtbar gemacht. Sobald ein Spendenziel erreicht ist, beginnt der Zähler wieder neu. Mit diesem Konzept konnten laut dem Veranstalter allerdings nur 26.000 Euro von den insgesamt mehr als 80.000 Festivalbesuchern gesammelt werden.

Vermüllter Festplatz
Vertrauter Anblick: Wo sich Tausende versammeln, um ausgiebig miteinander zu feiern, bleiben meist Berge an Müll zurück.

© PeopleImages, iStock

Wahl des perfekten Mehrwegsystems ist entscheidend

Um von vornherein zu viel Abfall zu vermeiden, setzen auch immer mehr Festivalveranstalter auf Pfandbecher und Mehrweggeschirr. Doch ab wann lohnt es sich, Plastik- statt Pappbecher zu kaufen? Diese Frage will das Projekt zoCat beantworten. „Unser System wägt unter Berücksichtigung unterschiedlicher Wirkungskriterien ab, ob der Einsatz von Mehrweggeschirr oder doch der von Einwegverpackungen die ökologisch beste Wahl für eine Veranstaltung ist“, erläutert Martin Wittmaier vom Institut für Energie und Kreislaufwirtschaft an der Hochschule Bremen. Wichtige Aspekte seien dabei der Einfluss auf den Klimawandel, Ressourcenschutz sowie die Rücklaufquoten des Mehrweggeschirrs.

Außerdem bietet das Projekt eine Übersicht über die Anbieter der empfohlenen Becher, Teller oder Gabeln. Einige Veranstalter, beispielsweise die Breminale, welche im Schnitt über 200.000 Besucher verzeichnet, haben das Konzept bereits ausprobiert und sind überzeugt. „Das Projekt hilft uns sehr, die passende Lösung für das nachhaltigste Geschirr und die nachhaltigsten Verpackungen für die Breminale zu finden“, berichtet Lukas Henschen vom Breminale-Team.

Ein Code of Conduct für eine nachhaltige Festivalkultur

Der Müllverbrauch ist allerdings nicht das einzige Klimaproblem von Festivals: Die britische Veranstaltungsbranche allein verbraucht jährlich schätzungsweise 380 Millionen Liter Diesel. Das entspricht mehr als 150 olympischen Schwimmbecken. Nur durch Festivals und andere britische Großveranstaltungen werden so insgesamt 1,2 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid freigesetzt – das ist etwa die jährliche Emissionsmenge von Malta.

Um zumindest deutsche Festivals klimafreundlicher zu gestalten, hat deshalb die Initiative Clubtopia einen Nachhaltigkeitskodex für Festivals entwickelt. Darin setzen sie Nachhaltigkeitsziele wie die Vermeidung, Reduzierung und Kompensation von Treibhausgasen fest und schlagen Maßnahmen vor. Insgesamt 18 Festivals haben bereits unterzeichnet, darunter das Wilde Möhre Festival und das Feel Festival, die beide in Brandenburg stattfinden. „Der Code of Conduct ist ein wichtiges Zeichen für die Nachhaltigkeits-Ambitionen der Festivallandschaft und schafft einen Rahmen, um die Festivals klima- und umweltfreundlicher zu gestalten“, sagt Alexander Dettke vom Wilde Möhre Festival. „Wir hoffen, dass noch viele weitere Festivals mitmachen und wir gemeinsam die Veranstaltungsbranche nachhaltiger machen.“

Stromanschlüsse bei einer Konzertveranstaltung
Lautsprecher und Beleuchtung sind bei Konzerten nur die offensichtlichsten Stromfresser – ist kein Feststromanschluss vorhanden, greifen die Veranstalter oft auf Dieselgeneratoren zurück.

© mikhail badaev, iStock

Mehr Unterstützung nachhaltiger Festivals gefordert

Doch nicht alle Leute begrüßen, dass es fast allein von der Motivation der Organisatoren abhängt, wie umweltschonend auf den Großveranstaltungen gefeiert wird. Jacob Bilabel, Gründer der Green Music Initiative, sieht an dieser Stelle die Politik in der Verantwortung und fordert Unterstützung für Organisatoren, die umweltschonende Ansätze ausprobieren. „Die, die es freiwillig machen, werden eigentlich bestraft, die haben mehr Aufwand, die haben mehr Kosten, und die, die es nicht machen, sind eigentlich bessergestellt. Das finde ich schwierig“, so Bilabel gegenüber der Deutschen Welle.

Auch aus diesem Grund hat der gemeinnützige Verein „Sounds For Nature Foundation“ ein Nachhaltigkeitssiegel für Festivals eingeführt. Festivalveranstalter können sich demnach, wenn sie bestimmte Umweltkriterien erfüllen, als „Sounds of Nature Festival“ zertifizieren lassen. Dabei hat der Verein klare Aufgaben für die Zertifizierung definiert, unter anderem Abfallvermeidung und -beseitigung, Vermeidung von Kohlenstoffemissionen, sowie eine gute Umweltkommunikation. Einige bekannte Festivals wie das Deichbrand sind bereits Teil der Initiative.

Der neueste Trend: Kreislauffestivals

Zudem können Veranstalter simple Nachhaltigkeitsanreize für ihre Besucher setzen, indem sie beispielsweise einen nachhaltigen Anreiseweg ermöglichen. Das Fusion-Festival in Mecklenburg-Vorpommern bietet hierfür Sammelbusse, die aus allen deutschen Großstädten zum Veranstaltungsort und zurück fahren. Andere Festivals organisieren Sonderzüge aus den nahegelegenen Orten, sodass die autolosen Partygäste nicht stundenlang in überfüllten Zügen stehen oder sogar am Bahnhof warten müssen.

Einige Festivalveranstalter versuchen sogar, komplett nachhaltige Festivals auszurichten, darunter das Tollwood in München. Das Festival dauert einen Monat, es treten weltbekannte Bands wie Take That auf. Um das Festival trotz seiner Größe nachhaltig zu gestalten, wird es zu 100 Prozent mit Ökostrom versorgt und stellt Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen 150 Quadratmeter Standfläche umsonst zur Verfügung. Zudem bieten die Veranstalter ein kulinarisches Bio-Angebot aus fairem Handel.

Weitere Artikel aus dem Wahrig Herkunftswörterbuch

Weitere Artikel aus dem Vornamenlexikon