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Sehnsucht in Töne gesetzt

Es sind Klischees, die nicht verschwinden wollen: Das eine besagt, dass Spanier temperamentvoll sind, das andere, dass Portugiesen zur Melancholie neigen. Naturgemäß ist die Wirklichkeit so einfach nicht. Und obwohl jedes Klischee ein Pauschalurteil ist, steckt in vielen doch ein wahrer Kern. Wenn es um die sehnsuchtsvolle Melancholie der Portugiesen geht, ist meist von „Saudade“ die Rede. In der Musik ist sie als „Fado“ bekannt.
von Michael Fischer

Saudade oder die Sehnsucht Portugals

Übersetzt heißt "Saudade" so viel wie Sehnsucht. Diese soll bei den Portugiesen ab dem 16. Jahrhundert – zu Zeiten als führende Handels- und Seemacht – im fernen Amerika entstanden sein: aus der Sehnsucht nach der Heimat. Seitdem, so will es der Mythos, ist der Portugiese melancholisch gestimmt. Doch seine Melancholie trägt keine tragischen oder selbstzerstörerischen Züge, sondern soll vielmehr Zeichen einer besonderen, schwermütigen Sensibilität und eines fernen Trennungsschmerzes sein. Die Sehnsucht nach etwas Abwesendem  kommt besonders schön und schmerzvoll zugleich im Werk des bedeutendsten portugiesischen Schriftstellers des letzten Jahrhunderts zum Ausdruck: "Ich bin der, der ich nicht zu sein vermochte", heißt es einmal bei Fernando Pessoa.

 

Fado oder das Glück der Melancholie

In Töne gesetzt, bestimmt die Saudade auch die Grundstimmung des Fado. Diese Musikform, deren Name vom lateinischen „fatum“ (Schicksal) stammt, ist hervorgegangen aus Liedern von Seeleuten, die diese in den Armenvierteln Lissabons Anfang des 19. Jahrhunderts gesungen haben. In diesem ursprünglichen Fado mischten sich die wehmütige und klagende Stimme der Seefahrer mit brasilianischen Einflüssen, Rhythmen der afrikanischen Sklaven sowie arabischen Elementen. Merkmale sind expressiver, zuweilen ekstatischer Gesang in unterschiedlichsten Höhen und vielen Molltönen. Oft ging es um unglückliche Liebe, gesellschaftliche Missstände oder Sehnsucht nach anderen Zeiten. Gesellschaftsfähig wurden diese "Fadistas" allerdings erst Ende des 19. Jahrhunderts. Den Sprung aus den Kneipen der Vorstädte in die bürgerlichen Salons soll dem Fado vor allem dank der Sangeskunst von Maria Severa Onofriana gelungen sein. Sie gilt als berühmteste Interpretin dieser frühen Zeit.